
Datteln am Ende des Zweiten Weltkriegs – 80 Jahre danach
Der 8. Mai 1945 – Ein Wendepunkt auch für Datteln
Am 8. Mai 1945 endete mit der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht der Zweite Weltkrieg in Europa – ein Tag, der für Millionen Menschen Befreiung vom NS-Regime bedeutete, zugleich aber auch geprägt war von Zerstörung, Trauer und dem schwierigen Neuanfang in einem besetzten und zutiefst erschütterten Land. Auch in Datteln markierte dieser Tag einen historischen Einschnitt.
80 Jahre später lohnt der Blick zurück: Wie erlebten die Menschen in Datteln die Kriegsjahre? Wie schwer hat der Krieg in Datteln gewütet? Und wie ging es in den ersten Tagen nach Kriegsende weiter? Wir unternehmen den Versuch, die damalige Situation in der Stadt zu schildern – das Leid, die Hoffnung und den mühsamen Weg in die Nachkriegszeit – und beschäftigen uns mit der Frage, was wir heute aus dieser Vergangenheit lernen können.
Datteln während des Zweiten Weltkriegs
Der Alltag war von Dunkelheit, Angst und Entbehrungen bestimmt. Bereits am 3. September 1939 wurde die Verdunklung angeordnet: Kein Licht durfte mehr nach außen dringen. Die Stadt versank nachts in Dunkelheit.
Die Menschen lebten in ständiger Angst vor Luftangriffen. Behelfsmäßige Luftschutzräume boten wenig Schutz; Bunker wurden erst 1943 errichtet. Hinzu kamen Sorgen um Angehörige an der Front und politische Repression.
Zwischen 1939 und 1945 gab es 1.065 Fliegeralarme, davon 633 nachts. Die ersten Bomben fielen im Juni 1940, tödlich wurde es im August. Besonders verheerend waren die Angriffe im März 1945 auf das Stadtgebiet, die Kanalanlagen, Industrieanlagen und Wohngebiete. 565 Menschen starben, darunter 300 russische Kriegsgefangene und 30 Kinder.
Zahlreiche Gebäude wurden zerstört. Nur 12 Prozent der Wohnhäuser blieben unversehrt, der Schaden lag bei rund 70 Millionen Reichsmark. Die Versorgungslage verschlechterte sich zunehmend. Lebensmittel und Alltagsgüter wurden rationiert.
Trotz der andauernden physischen und psychischen Belastungen durch Fliegerangriffe, politischen Druck und kriegsbedingte Einschränkungen in der Versorgung musste das Leben weitergehen. Der Haushalt wurde geführt, die Familie versorgt, die Menschen gingen zur Arbeit, Kinder zur Schule. Man bemühte sich, alles beisammenzuhalten und den Anschein von Normalität zu wahren.
In der Realität waren die Lebensumstände jedoch gezeichnet von den Auswirkungen des Krieges: In den Wohnungen standen stets die wichtigsten Habseligkeiten in großen Taschen gepackt, sodass sie bei jedem Fliegeralarm mit in die Luftschutzräume in den Kellern geschleppt werden konnten. Die Arbeiter, insbesondere die, die frühmorgens oder spätnachts unterwegs waren, mussten in völliger Dunkelheit ihren Weg zur Arbeit oder nach Hause finden.
Auch in den Schulen waren die Konsequenzen des Krieges spürbar: Klassenräume und Hallen wurden zeitweise gesperrt, um Wehrmachtssoldaten und andere Instanzen wie den Sicherheits- und Hilfsdienst einquartieren zu können, immer mehr Lehrkräfte wurden in den Kriegsdienst eingezogen, während die Zahl der Schüler*innen stieg. Durch den Ausfall von Verkehrsmitteln erschienen die Kinder allerdings häufig zu spät, übermüdet, nervös oder gar nicht zum Unterricht. Dieser wurde vor allem in der zweiten Kriegshälfte zudem immer wieder durch Tagesalarme unterbrochen, wenn er denn überhaupt ordnungsgemäß stattfand. Josef Weiring, ein Zeitzeuge, erzählt: „Weiter wurden während der eigentlichen Unterrichtszeit Kartoffelkäfer von den Kartoffelpflanzen abgesucht. Die Schulkinder mussten Altmaterial (Eisen, Lumpen, Knochen und Papier) sammeln.“
Kriegsende und Beginn der Nachkriegszeit in Datteln
Am 1. April 1945 sprengten deutsche Soldaten sämtliche Kanalbrücken, um den Vormarsch der Alliierten zu stoppen. Doch am 2. April erreichten amerikanische Truppen den Stadtkern – ohne Straßenkämpfe. In den Außenbezirken kam es zu kurzen Gefechten.
Ein Zeitzeuge berichtet: „Das waren die hoffnungslosesten Ostertage in den Orten des Ostvestes. Dunkle Pulverschwaden lagen über Datteln, Oer-Erkenschwick und Waltrop. Aus der Ferne rollte der Geschützdonner der Alliierten. In Schützenreihe zogen sich die letzten deutschen Landser zurück, zum Teil verwundet, alle in zerrissenen Uniformen, alle hungrig und keiner von ihnen mehr mit einem Funken Hoffnung.“
Die amerikanischen Truppen trafen auf eine menschenleere Stadt. Viele Dattelner verbargen sich in Kellern, es herrschte eine düstere und angsterfüllte Atmosphäre. Dennoch empfanden viele die Ankunft der Amerikaner als Erleichterung und Befreiung nach den Schrecken des Bombenkriegs.
Mit der Besatzung begann ein tiefgreifender Wandel. NS-Funktionäre wurden verhaftet, die Entnazifizierung eingeleitet. Bereits im Juni 1945 wurden vorläufige Verwaltungsbeiräte gebildet. Im September 1946 fanden die ersten freien Wahlen statt: Elf Sitze gingen an die SPD, neun an die CDU, einer an die KPD.
Alltag in der Nachkriegszeit
Die Versorgungslage verschlechterte sich nach Kriegsende rapide. Es kam zu witterungsbedingten Ernteausfällen, die Zuteilungen wurden zunehmend auf die Arbeiter im Bergbau zugeschnitten, so dass die vielen anderen Menschen benachteiligt wurden. Tauschhandel und Schwarzmarkt blühten: Für ein Pfund Butter zahlte man bis zu 400 Reichsmark, für ein Brot 40 Reichsmark. Hunger und Krankheiten wie Tuberkulose prägten den Alltag.
Auch Kleidung, Haushaltswaren und Trinkwasser waren knapp. Besonders gravierend war die Wohnungsnot: Von 8.302 Wohnungen im Amtsbezirk blieben nur 1.283 unversehrt. Viele lebten in Kellern, Baracken oder überfüllten Wohnungen. Mit Rückkehrern, Vertriebenen und Heimkehrern wuchs der Druck.
Alle nutzbaren Gebäude – sogar Wehrmachtsbaracken – wurden belegt. Notunterkünfte und Werkswohnungen entstanden, doch sogar bis nach 1951 blieb die Lage angespannt.
Trotz allem gab es auch Lichtblicke: Bereits Mitte 1945 nahm der Kohleabbau wieder Fahrt auf. Die Währungsreform 1948 stabilisierte die Wirtschaft, politische Strukturen normalisierten sich. Bis 1951 konnten viele Schäden an Wohn- und Industriegebäuden behoben werden.
Was bleibt? – Lehren aus der Vergangenheit
80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs stellt sich nicht nur die Frage, was damals in Datteln geschah – sondern auch, was wir heute daraus lernen können. Das Gedenken an den 8. Mai ist mehr als ein historischer Rückblick. Es ist eine Erinnerung daran, wie schnell Freiheit und Menschlichkeit verloren gehen können – und wie wichtig es ist, sich für ihre Bewahrung einzusetzen.
Der Zweite Weltkrieg hat Millionen Menschen das Leben gekostet und Europa verwüstet. Der Frieden, den wir heute genießen, ist ein hohes Gut – doch er ist zerbrechlich. Der Blick in die Geschichte erinnert uns daran, dass Frieden nicht nur ein Zustand, sondern auch eine Aufgabe ist. Die Schrecken von Krieg und Diktatur zeigen, wie zerbrechlich unsere Grundrechte sind – und wie wichtig es ist, wachsam zu bleiben. Wenn Ausgrenzung, Hass und autoritäre Stimmen laut werden, dürfen wir nicht schweigen.
Erinnerungskultur – ob durch Publikationen, Stolpersteine, Gedenktage oder persönliche Geschichten – ist kein Selbstzweck. Sie ist notwendig, damit wir nicht vergessen, wohin Hass und Gleichgültigkeit führen können. Und damit wir gemeinsam dafür sorgen, dass „Nie wieder“ nicht nur ein Wunsch bleibt, sondern gelebte Wirklichkeit.
- 1939: Einführung von Lebensmittelkarten, Anordnung der ständigen Verdunklung, erste Fliegeralarme, erste Einquartierungen in Datteln
- 1940: erste Bombenabwürfe durch britische Flugzeuge mit Sachschäden in Datteln, erste Verluste in der Bevölkerung durch Luftangriffe
- 1941–1943: Immer zahlreichere Luftangriffe
- 1944: Immer stärkere Schäden durch Luftangriffe im Dattelner Stadtgebiet und in Ahsen, 4 Tote bei Panik vor Stolleneingang der Zeche, Beschädigung von 25 Wohngebäuden durch Absturz eines Bombers mit Bombenlast
- 1945: schwere Großangriffe auf die Zechenanlagen und das Wohngebiet in Datteln, Sprengung aller Brücken im Amtsbezirk, Einmarsch der Alliierten
Amtsverwaltung Datteln (Hrsg.): Jahrbuch des Amtes Datteln: 1939–1951, 11. Jahrgang, Datteln: Selbstverlag, 1952.
Schulte-Althoff, Heinz: Die Geschichte der Stadt Datteln, Datteln: PR-Verlag & Werbeagentur Ritter, 1996.
Eckhardt, Friedrich Wilhelm: Der Zweite Weltkrieg in Datteln, in: Der Stadtdirektor der Stadt Datteln (Hrsg.): 50 Jahre Stadt Datteln 1936-1986: Beiträge zur Vergangenheit und Gegenwart, Datteln: Selbstverlag, 1986, S. 51-69.
Eckhardt, Friedrich Wilhelm: Bei derartigen Zerstörungen winkte die Militärkommission ab, in: Datteln 1147 – 1997: Beiträge zur Geschichte, Datteln: Selbstverlag, 1997, S. 147-151.
Beckmann, Theodor: … als das Ende des Krieges kam, in: Volkshochschule der Stadt Datteln (Hrsg.): Datteln im Wiederaufbau 1945 – 1955, Datteln: Selbstverlag, 1999, S. 7-8
Beckmann, Theodor: Im Schatten des Hungers, in: Volkshochschule der Stadt Datteln (Hrsg.): Datteln im Wiederaufbau 1945 – 1955, Datteln: Selbstverlag, 1999, S. 19-40
Weiring, Josef: Meine Erlebnisse während des Weltkrieges, in: Plattdeutscher Sprach- und Heimatverein Datteln 1922 e. V. (Hrsg.): Erinnerungen an den 2. Weltkrieg: Dattelner Zeitzeugen berichten, Datteln, 2005, S. 49-57.
Ausschuß für Öffentlichkeitsarbeit im Pfarrgemeinderat St. Amandus, Datteln (Hrsg.): St. Amandus Datteln: Festzeitschrift zur Altarweihe 22. September 1984, Datteln, 1984.
Initiative Datteln: Bunker- und Bergbaumuseum, in: Initiative Datteln, o. D., https://www.initiative-datteln.de/die-perlen-der-stadt/bunker-und-bergbaumuseum/ [abgerufen am 07.05.2025]